Hobelitz

In meiner Jugend bezeichnete man einen Jungen, der recht zu kühn’en Streichen neigte, mit dem Namen Hobelitz. Wie die Gegend um Haaren, Böddeken, Dalheim, Kleinenberg und Dringenberg voller Geschichten von ihrem Räuberhauptmann Skribonius, die Waldgebiete um Brilon, Rhoden und Blankenrode solcher vom Wildschützen Klostermann sind, so hat der Nethegau um Brakel und Bad Driburg einen Tunichtgut namens Hobelitz gehabt. Hobelitz lebte um 1820. Er hatte sich eine eigene Moral zurecht gemacht, nach der er auch handelte. Er war nicht wie Skribonius ein grausamer, herzloser Räuber oder wie Klostermann ein gewissenloser Nichtstuer und Wildräuber, sondern eine Art gutmütiger Kommunist. Mein Großvater wußte von ihm Geschichten zu erzählen.

Hobelitz war Maurer, doch kam er bald von seiner geregelten Arbeit ab und führte überall Diebstähle aus, ohne jemals dabei ertappt zu werden. Das Diebesgut holte er nachts aus seinen Verstecken und gab davon den Armen. Da klopfte es spät ans Kammerfenster. Auf die Frage, wer da sei, kam die Antwort: „Hobelitz“ und eine Handvoll Geld oder ein paar Würste, ein Schinken oder sonstige Dinge fielen in die Kammer, und weg war der nächtliche Spuk. Nicht selten staunten die Leute, wenn sie des Morgens beim Aufstehen auf dem Küchentisch ein „Geschenk“ von Hobelitz liegen sahen. Niemand hatte ihn gesehen oder auch nur gehört, und doch war er dagewesen. Wo er am Tage hauste, wußte niemand. Nur der Aschenbrenner von der Emder Glashütte wußte um ihn. Bald war die ganze Gegend voll von dem Gerede über die unglaublichsten Taten, die alle Hobelitz vollbracht haben sollte. Der Schwiegervater meines Großvaters, der Müller Frick aus der Raschenmühle bei Dringenberg, war eines Tages mit seinem Esel nach Brakel gewesen. Als er am Abend zurückkehrte, gesellte sich ihm ein Mann zu, der angab, mit nach Schmechten gehen zu wollen. Unterwegs erzählten sie sich die neuesten Streiche des Hobelitz. So kamen sie am Rustenhofe vorbei auf eine schmale Holzbrücke über die Aa. Da blieb der Fremde plötzlich stehen und stieß den ahnungslosen Müller in das Wasser mit dem Rufe: „Hier ist Hobelitz!“ Während Fricke mühsam aus dem Wasser krabbelte, verschwand Hobelitz mit dem Esel im Dunkeln. Spät, fast gegen Morgen, kam der Müller mit nassem Zeug nach Hause. Kaum hatte er sich niedergelegt, als vom Stall her das „I A“ seines Esels erscholl. Voll Freude sprang der Mann aus dem Bette und fand richtig sein Grautier vor, allerdings mit leeren Satteltaschen, aus denen Hobelitz alles herausorganisiert hatte.

Lange schon war die Polizei hinter ihm her; aber niemals konnte sie ihn fassen. Sei es, dass sie ihn wegen seiner stets wechselnden Verkleidung wirklich nicht kannte oder dass ihn die bedachten Familien verbargen, kurz, die Polizei tappte im Dunkeln. Schließlich kam ein neuer, scharfer Gendarm nach Brakel, der sollte endlich denn Übeltäter dingfest machen. Auf dem Wege nach Bad Driburg in der Nähe von Herste sieht dieser einen fein gekleideten Spaziergänger am Wege stehen. Der Gendarm unterhält sich eine Weile vom Pferde herab mit dem freundlichen Manne. Man erzählt sich auch von Hobelitz „Ja“, meint der Polizist, „meine Kollegen verstehen nichts. Ich werde den Burschen schon kriegen; wenn ich ihn nur erstmal gesehen habe!“ Nach einer kleinen Weile muss er mal vom Pferde und gibt dem andern für einen Augenblick die Zügel in die Hand. Da springt Hobelitz, denn er war es, auf das Pferd, jagt damit fort und ruft: „So sieht Hobelitz aus!“ Am andern Morgen stand das Pferd an einem Baum festgebunden vor der Satzermühle.

Als nun alles nichts half, wurde eine Belohnung für die Ergreifung des Hobelitz ausgesetzt. Davon hörte auch der Aschenbrenner. Zu ihm kam Hobelitz alle sechs Wochen. Dann musste er ihn lausen und frisieren. Bei dieser Gelegenheit wurde er denn auch eines Tages gefasst. Beim Abtransport rief er dem Verräter drohend zu: „Aschenbrenner, Hobelitz kommt wieder!“ Man verwahrte ihn aber so gut, dass in der Folgezeit niemand mehr etwas von ihm hörte.

H. Lippert, Hohenwepel